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Tropical Islands oder: Über eine Kakerlake und Sehnsuchtsbauchschmerzen

Last Updated on 1. September 2021 by Julia Schattauer

Auf der Matratze kauernd versuche ich das Bettlaken über die Ecken zu ziehen und stoße dabei immer wieder mit dem Kopf gegen das Zeltdach. Vergeblich versuche ich so wenig Sand wie möglich auf der Liegefläche zu verteilen.

Das Ergebnis sieht überraschend bequem aus, doch für Ausruhen ist später noch genügend Zeit. Nun geht es erst einmal zum Wasser. Mit Flip-Flops in den Händen stapfen wir durch den angenehm kühlen Sand. Die feinen Körner bleiben zwischen den Zehen stecken. Wir folgen dem kleinen Trampelpfad, vorbei an Palmen und bunten Strandhütten, quer durch den Dschungel. Vögel zwitschern, Insekten zirpen, Stimmengewirr und Wasserplanschen streifen meine Ohren. Was fehlt ist das Meeresrauschen, der Geruch von Salzwasser und die steife Brise. Kein seicht abfallendes Wasser, um langsam in die Wellen zu steigen, bis das Wasser zu den Hüften reicht, keine schmerzenden Steinchen. Stattdessen: Fliesenspiegel und eine Leiter.

Wir sind weder in Goa noch Koh Phangan. Statt Horizont gibt’s die Aussicht auf eine Stahlkonstruktion mit Membrangewölbe. Wir befinden uns im Tropical Islands (Affiliate Link), rund 60 km von Berlin entfernt. In der ehemaligen Luftschiffwerft erstreckt sich ein Stück Südsee mitten in Brandenburg. Eine Urlaubsidylle, künstlich und berechenbar.
Kurzer Rückblick: Es ist Ende Januar, meine Haut hat seit Monaten keinen Sonnenstrahl gesehen. Leichentuchoptik korrespondiert mit Winterblues. Ich habe ein paar Tage frei, doch die nächsten Urlaubsregionen versprechen kein besseres Wetter, für Fernreisen für ein verlängertes Wochenende müsste das Beamen erfunden sein.

„Ein Tropenurlaub voller Exotik“ klingt ziemlich genau nach dem, was ich suche. Das Gute kann manchmal so nahe sein und so bequem. Die Regionalbahn und der eigens verkehrende Shuttlebus bringen uns in die brandenburgische Südsee. Kurzes Schlangestehen und fertig. Kopf aus, Urlaub an.

Das Wetter ist konstant gut, keine Tropenstürme und keine Regenzeit trüben den Urlaub. Curfews oder Streiks, Malaria und Stehtoiletten. Diese Sorgen kann man zu Hause lassen. Ein paar Stunden weg vom Alltag. Kurzurlaub. Nicht viel billiger aber näher. Mein erster Eindruck ist ernüchternd. Denn so sehr die Inszenierung an Perfektion grenzt, beim Blick gen Himmel ist der große Stahlkäfig immer präsent. Kühl und futuristisch, nicht gerade schön, aber imposant wirkt die Konstruktion und lässt nicht von Anfang an Urlaubsstimmung aufkommen.

Am „Strand“ rücken sich Liegen auf die Pelle wie Pendler in der S-Bahn.
Doch hier sind wir, für die nächsten 24 Stunden gilt es das Beste aus der Sache zu machen. Die Saunalandschaft bietet uns die Fluchtmöglichkeit vor den Massen. Wir entspannen in Hindu-Tempel-, und Kristallsaunen, mit Heilerde und im Dampfbad. Meine einzigen Sorgen sind, ob wir es zum nächsten Aufguss schaffen, ob wir lieber indisch oder thai essen wollen. Ich ärgere mich über einige junge Männer, die den Hinweis „Textilfreier Bereich“ konsequent ignorieren und die Pools belagern oder den laut telefonierenden Liegennachbarn. Da merke ich, das das dem Urlaubsgefühl doch irgendwie ziemlich nahe kommt.

Am Abend suchen wir die netteste der Strandbars, trinken einen Cocktail und fallen müde in unser Zelt. Nachdem uns die ersten Sonnenstrahlen und die abreisenden Nachbarn geweckt haben, spazieren wir noch einmal über die Anlage. Ich entdecke eine Kakerlake und rostige Stellen an Türen, die fröhlich mit knallbunter Farbe übermalt wurden. Kein gepflanzter Dschungel, keine Ganeshastatue erscheint mir authentischer als diese Kakerlake und die kleinen Improvisationen.

Das sehnsüchtige Ziehen in meinem Bauch zeigt mir, wie sehr mich diese kleine Unperfektheiten an die echten Tropen da draußen erinnern. Und mit unverhältnismäßig großem Abschiedsschmerz und einem gefüllten Koffer voll Sehnsucht verlasse ich die Fakewelt und würde am liebsten den nächsten Flug buchen.

Tropical Islands

Inszenierte Urlaubswelten. Ein an sich schon interessantes Thema (und übrigens Teil meiner Magisterprüfung) habe ich hier am eigenen Leib mit den eigenen Emotionen erlebt. Wir streben nach Authentizität, wollen echte Lebenswelten entdecken. Ein echter Reisender will sich mit Inszenierungen nicht zufrieden geben. Er sucht das Echte und grenzt sich dadurch von den „normalen“ Touristen ab. So hört man es doch oft.

Und doch vergessen wir immer wieder, dass uns doch überall inszenierte Erlebniswelten erwarten. Nicht nur Disneyland oder das Clubhotel entführt uns in eine für die Touristen gemachte Welt. Jeder Strand, jeder Ausflug in die Dörfer der alten Völker ist für uns inszeniert. Auch als Traveller, Reisende, Backpacker (oder wie man sich auch nennen mag) ist man mittendrin. Das „Abseits der Touristenpfade“ aus Überzeugung ist doch meist eine Illusion.

Die Nebenfachs-Kulturanthropologin in mir klopft an. Ihr merkt es vielleicht. Doch das hier soll kein Plädoyer gegen das Reisen sein, ich will nicht sagen „fahrt lieber ins Tropical Islands“.  Im Gegenteil: Geht hin, wo ihr noch nie wart, entdeckt Neues, probiert genau die Dinge, vor denen ihr Angst habt. Wagt Abenteuer. Das Tropical Islands ist ein guter Aufhänger für verschiedene Debatten. Nachhaltiges Reisen (Affiliate Link) zum Beispiel oder soziale Abgrenzung zwischen „guten“ und „schlechten“ Touristen. Ich appelliere an die Selbstreflexion und an die Toleranz. Reise selbstbewusst, im buchstäblichen Sinne und sei offen und neugierig und tolerant. Dir gegenüber und anderen.

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