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Kolumnen

Von digitalen Ästen und der Suche nach der inneren roten Zora

Last Updated on 12. Mai 2021 by Julia Schattauer

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35 Tipps für Blogger, Bezirzt-Backend, Praktikum, Weiterbildung, Volontariat, Yogakursplan, Arte, Teilzeitjobs in Berlin. Ich habe so viele Tabs offen, dass ich sie gar nicht alle auf einmal sehen kann. Warum ich so viele Tabs offen habe? Weil ich suche.

Ich arbeite momentan vier Stunden am Tag. Immer von 6 – 10 Uhr morgens, montags eine halbe Stunde früher. Damit verdiene ich mein Geld aber erfüllen tut mich dieser Job nicht. Nach einer Arbeit als Werkstudentin und zwei Praktika ist das meiner erster echter Job nach dem Studium, er war als Überbrückung gedacht, bis ich was „Richtiges“ finde. Und dieses „Richtige“, das suche ich.

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Ich habe Kunstgeschichte studiert. Nicht, weil ich in einer Galerie arbeiten wollte oder im Museum, sondern weil mir die Kunst einfach Freude macht. In einer kleinen Redaktion arbeiten, über Kunst und Kultur schreiben, gerne auch ein bisschen Lifestyle, so in etwa habe ich mir das „Danach“ vorgestellt. In Berlin, wo es von Kunst und Style nur so wimmelt, sollte das ja nicht so schwer sein.

Wie gerne würde ich zwei, drei Jahre zurück, damit ich noch ein bisschen in meiner naiven Gedankenwelt, in der kindlichen Zuversicht schwelgen könnte. Jetzt, bald zwei Jahre nach dem Magisterabschluss, bin ich in Berlin und auf dem Boden der Realität angekommen. Um es kurz zu machen: Bis jetzt ist aus mir keine Redakteurin geworden. Schreiben, das kann ich. Immer her damit, Geld gibt es leider keines dafür.

Keine Sorge, ich möchte mich nicht beschweren, nicht jammern, wie schwer es auf dem Arbeitsmarkt doch ist. Ich bin bereit zu suchen, neue Wege zu gehen, nach Alternativen zu schauen. Ich bin motiviert und habe Ausdauer. Also sitze ich am Laptop, öffne einen Link nach dem anderen, schweife durch den Ozean an Informationen, hangele mich an digitalen Ästen entlang und suche und suche und suche.

Mein Kopf raucht wie Füße nach einem Dauerlauf. Könnte man meine Wege im Internet in Kilometern messen, wären sie marathonreif. Ich laufe die digitalen Wege, krampfhaft, manisch und ich komme einfach nicht an. Ich verlauf mich jeden Tag aufs Neue, weil ich den Weg zum Ziel nicht finde. Weil ich gar nicht weiß nicht weiß, wonach ich suche.

Was will ich finden? Wohin will ich gehen? Noch ein Praktikum, am besten noch unbezahlt? Doch in eine Galerie, was ich nie wollte? Noch eine Bewerbung abschicken, für eine Stelle für die ich gar nicht qualifiziert bin? Promovieren, Fernstudium, vielleicht etwas ganz anders studieren, selbständig machen? Soll ich ins Ausland, einen Sprachkurs machen oder einfach ein bisschen mehr meine derzeitige Freizeit genießen und neue Sportarten ausprobieren, Instrumente lernen, mich ehrenamtlich betätigen? Ich bin ratlos und deshalb ziehe ich rastlos meine Runden von Blog zu Blog, Jobportal zu Jobportal, speichere Stellenangebote für Jobs, die ich eigentlich nicht machen will und Praktika, die ich nicht gutheißen kann.

Ich habe so viel Energie, ich möchte etwas machen, weiterkommen, doch wohin? Auf der Suche nach Alternativen verliere ich mich in Möglichkeiten. Was macht mir Spaß? Was kann ich überhaupt? Was ist meine Leidenschaft? Wo sehe ich mich eigentlich in zehn Jahren? Aus einem Praktikumsplatz wird ein Lebensentwurf. Wollte ich nicht immer frei sein? Reisen oder im Bauwagen wohnen? Was ist mit Kindern? Damals als Kind wollte ich mit 26 verheiratet sein, mit 28 Mutter. Heute erscheint mir alles noch so weit weg.

Ich überlege, erinnere mich, fühle und je krampfhafter ich nach Antworten suche, desto weniger bekomme ich sie. Ich bekomme das Gefühl absoluter Durchschnitt zu sein, in nichts besonders gut, keine leidenschaftlichen Hobbys. Okay, ich mag Tiere, besonders die kleinen, ich lese gerne und ziemlich schnell. Doch deshalb Tierzüchter oder äh Ghostreader zu werden? Keine wirkliche Option. Ich werde bockig, weil ich gar nicht erwachsen sein will und gern ein Haus hätte wie Pippi Langstrumpf und immer wild und unabhängig sein wollte wie die rote Zora. Und ich ärgere mich, weil ich so furchtbar vernünftig bin und langweilig und weil ich nicht einfach kopfvor ins Abenteuer stürze, nicht drei Tage durchfeiere und weil ich mich sorge, dass ich nie so abgefahrene Berlingeschichten erzählen werden kann, wie alle anderen. Weil ich stattdessen am Laptop sitze und Stellenangebote sammele und von meiner inneren roten Zora nicht einmal mehr die roten Haare zu sehen sind.

Und nach einem Tag voller offener Tabs, Grübeleien und Zukunftsfragen bin ich deprimiert, ein bisschen verzweifelt und hauptsächlich müde.

Und jetzt könnte ich aufrufen, so wie Julia Engelmann, dass wir, und damit meine ich dich, wenn es dir so geht wie mir, dass wir mehr tun müssen, uns mehr trauen und einfach mal machen. Weil ich auch Julia heiße und das jetzt so passen würde. Aber dann drehen wir uns im Kreis bei all dem so oft Gesagten und Gedachten und Geschriebenem und Gebloggtem, dass ich wieder so ratlos dastehe und nicht weiß, was ich eigentlich sagen und denken und tun will. Und dann klapp ich lieber den Laptop zu und lasse fürs Erste alle Tabs offen, damit ich morgen wieder weitersuchen kann.

Wie viel wurde schon geschrieben über das Glück und die Bürde „unserer“ Generation, alle Optionen, alle Möglichkeiten zu haben, wie viel habe ich gelesen über das „Einfachmalloslassen“ und relaxen, wie oft versuche ich alles etwas entspannter zu sehen, mich auf die Sachen zu fokussieren, die gerade schön sind, mehr im Jetzt zu leben. Den Augenblick genießen, alles auf sich zukommen lassen, in nichts reinstiegern, das sind alles gut gemeinte Ratschläge, die ich selbst so weitergeben würde.

Doch sag das mal einer meinem Kopf, wenn er vor lauter angestrengtem Sinnsuchen auf Hochtouren läuft, sag das mal jemand meinem Herzen, wenn es sich in meiner Brust ganz schwer macht, weil es Angst hat, dass ich es einfach nicht schaffe, „mein“ Ding zu finden, sag das mal einer meinem Bauch, der ganz sauer reagiert, wenn ich meine Sorgen runterschlucke. Auf mich hören sie ja nicht.

 

 

 

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