Am tiefsten Punkt der Erde. Oder: Die typische Touri-Tour „Masada, En Gedi, Totes Meer“
Last Updated on 15. März 2023 by Julia Schattauer
An dem Tag als Trump gewählt wird, befinde ich mich am tiefsten Punkt der Erde. Schlamm trocknet auf meiner Haut, neben mir liegt ein Kamel, das ganz betröppelt in die Gegend schaut. Ich schaue mich um und finde, dass die Szenerie ganz gut zu diesem Tag passt.
Der tiefste zu erreichende Punkt der Erde, rund 400m unter NN, befindet sich am Toten Meer. Es ist der letzte Stopp meines Tagesausflugs, der mich zur sagenumwobenen Festung Masada, zur Oase En Gedi und schließlich zum obligatorischen Bad im Toten Meer bringt. Ein Ausflug, der auf jeder To-Do-Liste eines jeden Touristen in Israel steht. Es gibt niemanden, der die drei Stationen nicht abgeklappert hat. So fühlt es sich zumindest an.
Die einzige Frage ist: Sunrise oder normal? Die Tour, die zum Beispiel vom Abraham Hostel in Jerusalem angeboten wird, findet entweder als Sunrise Tour statt, die morgens um 3.30 Uhr in Jerusalem startet und als Besonderheit den Sonnenaufgang von Masada aus bietet oder als Tagestour.
Ich habe lange überlegt, ob ich mich einer geführten Tour anschließen soll. Rund 250 NIS (circa 60 Euro + Eintritt Masada und En Gedi) erschien mir doch recht teuer. Selbst organisieren geht natürlich auch. Günstiger aber unbequemer und mit mehr Zeit. Für eine Kooperationsanfrage war meine Entscheidung zu kurzfristig, also biss ich in den sauren Apfel und entschied mich für die bequeme und zeitsparende Variante und buchte die Tour.
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Kann man ja mal machen, gerade wenn man alleine unterwegs ist. Blöderweise hatte ich mich kurz zuvor erkältet und kränkele auch an dem Tag ziemlich herum. Und da bin ich froh, mich nicht um alle Details selbst kümmern zu müssen und ein wenig der Herde folgen zu können.
Durch die Wüste zur Festung Masada
Ich sitze also morgens um 7 Uhr im Bus und schaue aus dem Fenster. Wir fahren durch ein Jerusalemer Viertel, wo ultraorthodoxe Juden wohnen. Ein Mann mit langem Mantel, Hut und Schläfenlocken eilt vorbei, hinter ihm eine Frau mit langem Schleier und ihrer Tochter an der Hand. „Schaut mal, die Frau“, sagt unser Fahrer. „Sieht aus wie eine Muslima, oder? Wir nennen solche Frauen Taliban-Woman“, sagt er und lacht. Die meisten Juden finden diese Vollverschleierung nicht in Ordnung, meint er.
Wieder eine Information, die ich in meinem Kopf zum Infoknäuel hinzufüge, das hier seit ein paar Tagen in meinem Kopf entsteht. Ich bin nach Israel mit dem Wissen, dass hier DIE Juden gegen DIE Palästinenser kämpfen und umgekehrt. Eine gnadenlose Verallgemeinerung, wie ich schnell feststellen musste. DIE Juden sind entweder gemäßigt, ultraorthodox, ultra-ultraorthodox, weltlich oder russischer Abstammung. Außerdem leben hier arabische Israelis, Beduinen, griechisch-orthodoxe Christen, Drusen, Bahai und noch viele weitere Minderheiten.
Es geht mir häufig so in Israel, dass ich mit mehr Informationen nur merke, wie viel komplexer das ganze Prinzip Israel wird. Statt Antworten und Klarheiten bekomme ich mehr Details, die mehr Fragen aufwerfen. Ich habe das Gefühl, dass ich stets an der Oberfläche von etwas kratze, das mit jeder Schicht mehr Fakten, Meinungen und Probleme an die Oberfläche bringt. Willkommen in Israel. Natürlich lässt sich die ganze Problematik auch ausblenden. Gerade in Tel Aviv geht das ganz hervorragend. Am Strand, in den Clubs und Hotels lässt sich der sorglose Urlaub genießen. Cocktails, Sonnencreme, Coffee to go.
Wir verlassen Jerusalem und fahren von rund 800m über NN runter auf knapp -400m. In meinen Ohren knackst es und der Druck tut meinen von der Erkältung gereizten Lauschern nicht gerade gut. Ausruhen kann ich mich, wenn ich wieder zuhause bin, denke ich.
Wir fahren vorbei an den notdürftigen Lagern der Beduinen. Knapp 200.000 Beduinen leben in Israel, meist in nicht anerkannten Beduinendörfern in der Negevwüste und hier in der Judäischen Wüste. Ein paar Wellblechhütten, Esel, Autobahn.
Plötzlich sehe ich durchs Fenster ein Glitzern. Es ist die Sonne, die sich auf dem Toten Meer spiegelt. Unser Fahrer erklärt, dass das Tote Meer jedes Jahr kleiner wird. Rund einen Meter geht es jährlich zurück. Warum? Ein Grund ist die globale Erderwärmung, noch mehr spielt allerdings der Fakt eine Rolle, dass dem Toten Meer ständig Wasser entnommen wird. Für Fabriken oder Trinkwasser. Wir fahren am Ein Gedi Spa vorbei, ein Hotel, das bei seiner Eröffnung direkt am Strand des Toten Meeres eröffnet wurde, mittlerweile ist dieser rund 600m entfernt.
Unser Fahrer, Mitte 30, erinnert sich noch daran, wie er als Kind dort direkt am Wasser gespielt hat. Durch die Austrocknung des Toten Meers, entstehen gefährliche Löcher. Aus dem Nichts heraus öffnet sich der Boden und verschluckt alles, was sich auf dem Stück Erde befindet: Häuser, Straßen, Menschen. Einige Strände sind deshalb bereits geschlossen. Für mich ist es ein beklemmendes Gefühl. Man sieht das Tote Meer sterben.
Doch ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als wir am Fuße der Festung Masada ankommen. Jeder Jude kennt die Geschichte um Masada, der Festung, die Herodes im 1. Jahrhundert v. Chr. errichten ließ, seit seiner Kindheit. Einst kämpften hier rund 950 Juden verzweifelt gegen die römischen Besatzer, erfolglos. Um nicht in die Hände der Römer zu fallen, begingen die Patrioten kollektiven Selbstmord. Im Jahr 2001 wurde die Bergfestung in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen und gilt als einer der wichtigsten „Erinnerungsorte“ für Israelis.
Ich fahre mit der Seilbahn nach oben. Die Wanderung will ich mir mit Erkältung nicht zumuten. Als ich in die Kabine steige, fällt mir ein, dass ich vergessen habe, meinen Gutschein, den man am Anfang der Tour bekommt und ein wenig Rabatt gewährt, nicht eingelöst habe. Egal. Der Blick über die Steinwüste entschädigt. Oben angekommen laufe ich auf den Ruinen der Festung herum und setze mich ganz bewusst von meiner Gruppe ab.
Ich brauche ein wenig Zeit für mich. Auf einer Bank mit der Gesellschaft von zwei Amseln sitze ich am Rand des Berges und schaue in diese unwirkliche Landschaft. Rote Felsen soweit das Auge reicht, lebensfeindlich. Seit ich vor rund einer Woche in Tel Aviv gelandet bin, hatte ich kaum Zeit für mich.
Ich habe im Hostel direkt nette Leute getroffen, war mit ihnen am Strand, auf einem Konzert, abends auf der Dachterrasse. Wir haben geredet, gelacht, die Sonne und das unbeschwerte Leben genossen. Seit einem Tag bin ich nun in Jerusalem. Auch hier treffe ich wieder nette Leute, verbringe meine Zeit mit Stadtführungen und Small Talk im Hostel. Ich fühle mich wohl in Heiligen Stadt. Ich hatte viel mehr Trubel, Menschenmassen und ein vielleicht unsicheres Gefühl erwartet. Doch es ist ruhig, die Hauptsaison ist vorbei und ich genieße vom Österreichischen Hospiz den Blick auf die Altstadt und eine Wiener Melange, die ich auf deutsch bestelle.
Abends lese ich in meinem Buch, das mir die Kultur und Geschichte Israels näher bringt. Ich lese von all den Anschlägen in Jerusalem. Überall, wo ich ein paar Stunden zuvor noch herumgeschlendert bin, gab es Anschläge. Auf dem Markt im Zentrum, am Damaskus Tor. Ich googele und lese, dass erst vor drei Wochen ein Schießerei auf die Tramstation war, an der ich jeden Tag vorbeilaufe. Es ist komisch und beängstigend. Doch unsicher fühle ich mich in Israel trotzdem nicht.
Als ich nun oben von Masada auf die Wüste schaue, habe ich zum ersten Mal die Gelegenheit, all meine Eindrücke sacken zu lassen. Ich bin bewusst alleine und lasse meinen Gedanken freien lauf. Ich bin in einem Land, das sich immer wieder im Krieg befindet. Ich fühle mich sicher, ich genieße die Zeit. All die Soldaten ängstigen mich eigentlich nicht. Die Menschen hier begegnen mir mit Neugierde und Offenheit.
Wenn ich durch die Stadt laufe, am Strand sitze oder im Hostel koche, werde ich angesprochen, von Einheimischen und Touristen. Alle wollen wissen: Woher kommst du? Warum bist du hier? Gespräche entstehen ganz automatisch. Auf die Antwort: „Ich lebe in Berlin“ folgt oft: „Oh schön, da war ich auch schon“. Und Deutsche, die trifft man sowieso überall.
Was alle Touristen hier gemeinsam haben: Sie alle schwärmen. Von der Schönheit der Wüste, von der Offenheit der Menschen, vom Partyleben in Tel Aviv oder vom Essen. Sie sind sich alle einig: Wir kommen wieder. Ich stimme zu, in allen Punkten. Und trotzdem mischt sich die Euphorie immer wieder mit Unsicherheit, mit Nichtwissen und Halbwissen. Nach Israel fahren ist auch irgendwie ein Statement. Und diese Statement. Selten waren meine Gedanken so zwiegespalten. Doch ich nehme mir immer wieder vor: Ich begegne allen mit Offenheit. Mit einem offen Ohr, ohne vorschnelles Urteilen.
Von der Oase zum Toten Meer
Ich wandere in dieser surrealen Landschaft des Berges umher, voller Gedanken und merke kaum, wie die Zeit verfliegt. Es ist an der Zeit zum Bus zu gehen. Als nächstes steht En Gedi auf dem Plan. Die Oase, die Lebensspenderin mitten in der Judäischen Wüste. Ich habe nur 1,5 Stunden Zeit. Große Wanderungen fallen also flach. Doch ich nutze die Zeit und laufe zu den beiden Wasserfällen. Es scheint so, als wäre heute Wandertag in den Schulen. Alle Wasserbecken sind mit Schülern gefüllt, die lachend plantschen und die Abkühlung genießen.
Auf meinem Weg bewundere ich saftig grüne Pflanzen, sprudelnde Bäche und plätschernde Wasserfälle. Ich sehe Steinböcke und ein „Hyrax“ auf deutsch „Schliefer“. Ich kenne weder den deutschen noch den englischen Namen, doch das Tierchen ist süß. Es sieht ein wenig aus wie ein Hase ohne Ohren. Wer noch nie länger als 1-2 Stunden in der Wüste war, wie ich, der kann wohl die Anwesenheit eine Oase nicht in ausreichendem Maße genießen. Ich laufe ein wenig umher, finde es nett und freue mich hauptsächlich auf das Bad im Toten Meer, das als nächstes auf dem Plan steht.
Das Tote Meer also. Wer kennt nicht die Erzählungen, wie witzig das Floaten ist? Das Klischee vom Zeitunglesen im Meer? Zunächst einmal gilt es wieder Treppen steigen und hinab laufen. Es dauert ein wenig bis man zum Strand gelangt, denn auch hier, hat sich der Wasserstand in den letzten Jahren deutlich verringert. Im Wasser tummeln sich im abgesperrten Bereich eine handvoll Touristen. Sie kichern, fotografieren, reiben sich mit Schlamm ein. Ich muss grinsen, denn über der Szenerie legt sich eine kindliche Stimmung. Die Laune ist ausgelassen bei Groß und Klein. Omas, Kinder, Paare, alle spielen mit Matsch herum und freuen sich über das salzige Nass.
Ich tapse vorsichtige hinein. Ein Schritt nach dem anderen. Das Wasser ist flach und es dauert ein bisschen, bis es tief genug ist und ich endlich das Experiment Floating beginnen kann. Popo runter, Beine hoch, es funktioniert. Was allerdings nicht funktioniert ist das Schwimmen. Kaum bin ich in Brustschwimmposition, zieht es mir die Beine so weit nach oben, dass ich fast kopfüber ins Wasser tauche.
Was auch nicht so cool ist, ist meine leicht wunde Nase vom Schneuzen, tut ziemlich weh mit Salzwasser. Nachdem ich das übliche Programm hinter mir habe – mit Matsch einreiben, trocknen lassen, wieder abspülen, mich freuen, dass ich ohne Anstrengung im Wasser treibe, mich wundern, dass das Wasser fast schon ölig ist und Salzwasser in Wunden brennt – suche ich mir ein Schattenplätzchen und schaue rüber nach Jordanien. Auch ein Land, in das ich gerne einmal reisen würde.
Ich bin entspannt und finde es süß, den Menschen beim Spaß im Toten Meer zuzuschauen. Hier kann man kurz einfach Tourist sein. All die Konflikte ausblenden, kurz vergessen, was hier alles passiert und einfach entspannen. Heute Abend lese ich wieder in meinem Buch und versuche mehr über das Land zu lernen, morgen fahre ich nach Nazareth, um mir auch diesen geschichtsträchtigen Ort anzuschauen. Doch jetzt, jetzt entspanne ich und lass mich im Toten Meer wortwörtlich einfach noch ein bisschen treiben.
Ich habe den Tagesausflug über Abraham Tours im Abraham Hostel in Jerusalem gebucht. Ich habe ihn selbst gezahlt und keinen Vorteil von meiner Erwähnung hier.
4 Kommentare
Astrid
„Man sieht das Tote Meer sterben.“ Das ist ja ein schöner Satz. Aber leider traurig zugleich. Nach deinem interessanten Artikel hab ich das Gefühl ich muss mich wirklich beeilen um auch noch im Toten Meer treiben zu können.
lg Astrid
Julia Schattauer
Es ist tatsächlich traurig. Vielleicht ein bisschen so wie mit Venedig 😉
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