Tilla Durieux als Circe
Last Updated on 12. Mai 2021 by Julia Schattauer
Hier ist sie, die Hauptperson meiner Magisterarbeit und Ideengeberin für diesen Blog: Tilla Durieux als Circe. Verzaubert von ihr habe ich meine Magisterarbeit geschrieben und bin ihr nun ganz nahe. In Berlin hängt das Gemälde in der Alten Nationalgalerie und da das nicht genug ist, gibt es sogar einen eigenen Tilla-Duriex-Park.
Das Ölgemälde Tilla Durieux als Circe entstand 1913 und zeigt eine weibliche Halbfigur im Profil. Die Frau beugt sich nach vorne, ihre lockigen roten Haare hat sie zu einer Hochsteckfrisur hochgesteckt, wobei sich einige Strähnen bereits gelöst haben. In der rechten Hand hält sie eine goldene Schale mit Löwenfries, ihren Arm, um den ein Teil des Kleides gewickelt ist, streckt sie nach vorne. Sie schaut mit eindringlichem Blick in die Richtung, in die sie die Schale reicht. Mit ihren Augen fixiert sie eine, für den Betrachter nicht sichtbare Person, der sie die Schale in ihrer Hand anbietet. Die Frau trägt lange Goldohrringe mit Perlen, ihre Finger sind mit Ringen geschmückt, die Augen schwarz umrandet. Ihre dunkelroten Lippen, die von einem Lächeln umspielt werden, korrespondieren mit der Farbe ihrer Haare. Der Hintergrund zeigt keine Details und ist monochrom schwarz. Die Figur wirkt wie von einer nicht definierbaren Lichtquelle angestrahlt wobei besonders das Gesicht und der linke Arm beleuchtet werden. Das Bild wirkt insgesamt sehr dunkel, die Figur tritt in ihrer Farbigkeit hervor.
Das Blau des Kleides ist intensiv, durch das Schwarz wirkt die Farbe des Gewands dunkel und kräftig. Auch die roten Haare und die Goldschale sind kräftig gefärbt und leuchtend. Im Gegensatz dazu wirkt das Inkarnat farblos und bleich. Er wirkt insbesondere in den Schattenregionen grünlich und fahl. Die Farbpartien sind groß und die Farbe flächig aufgetragen. Lediglich einzelne Details wie beispielsweise die Ohrringe sind detaillierter und feiner gemalt.
Das Bild ist nur aus wenigen Elementen konstruiert, die Komposition ist einfach und streng, was sich auch in der Wahl der reinen Profilansicht zeigt. Mit den Helligkeitswerten zielt der Künstler auf Kontrastwirkung. Der Hintergrund dient als reine Folie für die Figur im Vordergrund und verliert damit völlig seine raumschaffende Qualität.
Franz von Stuck, Künstlerfürst und Kultfigur, Müllersohn aus Tettenweiß und Maler dieses Bildes, schuf das prominenteste Bild der Kirke im Symbolismus. Er wurde als Wunderkind gefeiert, ganz in der Tradition des Künstlermythos der Renaissance. Er war eine imponierende Figur und markante Persönlichkeit und wusste sich in Szene zu setzen. Er erkannte früh, dass Selbstdarstellung und Vermarktung im Zeitalter der Kunstindustrie unerlässlich waren, um Erfolg zu haben.
Die autonome Darstellung der Kirke als alleiniges Bildmotiv unterscheidet Stucks Bild, wie auch die zuvor genannten Gemälde der Präraffaeliten, von den Kirkedarstellungen der vorhergehenden Jahrhunderte. Die Figur der Kirke ist nicht eingebettet in die Erzählung eines Mythos wie in der Historienmalerei. In Stucks Bildnis erfährt man nichts über die Geschichte. Er lässt alles Erzählerische weg. Allein die menschliche Figur steht im Mittelpunkt. Die Kenntnis über den Mythos wird vorausgesetzt, um die Zusammenhänge verstehen zu können.
Stuck sah natürliche Erotik als Gegenbild zur bürgerlichen Enge zeitgenössischer Gesellschaft, er konfrontierte die Betrachter direkt, ohne schmückendes Beiwerk. Deshalb liegt der Schwerpunkt seiner Bilder auf der Figur. Was die Farben betrifft, setzte Stuck die optische und damit auch psychologische Wirkung der Farben bewusst ein. Stuck verwendete Farbe nicht nur als Lokalfarbe der Menschen und Dinge, sondern setzte abstrakte Farbflächen so nebeneinander, dass Konturen und Linien entstehen, durch die wiederum eine rhythmische Abfolge in das Bild kommt. In Stucks Gemälden wird die Farbe zum Bedeutungsträger, sie erhält eine symbolische Bedeutung.
„Rot ist das Feuer, die Leidenschaft, der Alarm und in einem gewissen grellen Ton wirkt es inmitten unter anderen Farben anziehend, orientierend, lockend und führend, wie das Leuchtturmlicht in der Nacht. Bei einem schwefligen Gelb steigt der Gedanke an Gift auf, an etwas Verderbliches, Gefährliches; es warnt.“(Weese, Arthur: Franz von Stuck. Sonderdruck aus den Graphischen Künsten. Wien 1903. S.9.)
Das Blau des Kleides, das feurige Rot der Haare und das Gelbgold der Schale und das grünliche Inkarnat vermitteln Assoziationen zu Unergründlichem, Geheimnisvollem, Lockendem und Verderblichem und korrespondieren mit Kirkes Charakter. Dass der Farbe wieder Bedeutung zuteil wurde, war eine Reaktion auf den französischen Impressionismus, welcher der Farbe ausschließlich optische und sensualistische Qualität zusprach.
Die Haare galten bei den Künstlern dieser Zeit als Symbol für Weiblichkeit. Blonde oder gold-rote Haare wiesen auf Engel hin. Die helle Farbe galt als rein und zart. Kräftigeres Rot stand für die zerstörerische, gefährliche und vor allem sinnliche Frau. So wurden viele Frauen im Symbolismus mit roten Haaren dargestellt, das Verruchte wurde betont. Kunstvoll hochgestecktes Haar verwiesen auf eine adlige Frau oder eine idealisierte gute Frau hin, ungepflegtes oder strähniges Haar galt als Attribut einer Prostituierten. Das Kämmen der Haare und auch das Weben eines Stoffes wurde als sexuelle Konnotation gedeutet. Das Weben sowie die rote Haarfarbe kommt auch bei Kirke vor, was ihr fatales Wesen symbolisch untermauert.
Das Porträt der Kirke ist in erster Linie ein Porträt der Schauspielerin Tilla Durieux. Stuck weitete also die Darstellung der fatalen Frau auf die Porträtmalerei aus. Trotz der Stilisierung ist ihre Ähnlichkeit unbestreitbar und an den Fotostudien zu überprüfen. In Stucks Atelier entstanden Fotoaufnahmen, die bei vielen Autoren als sehr hochwertig angepriesen wurden. Stucks Fotografie vermittelt ihre Schönheit, Energie und ihr Selbstbewusstsein vor der Kamera und offenbart die Faszination für die Frau und den erotisierenden Blick des Fotografen. Stuck übertrug die Fotografien nicht eins zu eins ins Gemälde. Er veränderte bei der Übertragung teilweise die Körperhaltung, um Eindrücke zu verändern und die Wirkung anzupassen. Im Fall der Kirke hat er etwa das Auge vergrößert. Auch die Körperhaltung hat er angepasst, indem er die Hand mit der Schale erhöht und näher ans Gesicht gerückt und die Gestalt etwas gebückter gezeichnet hat. Der Eindruck des Lauerns, das Be- oder Verzaubernde wird betont, die Darstellung erhält damit noch mehr Spannung.
Es entsteht eine besondere Vermischung von Porträt und Idealmalerei, die ganz typisch für Stucks Porträts ist. Stuck vernachlässigte das Porträthafte zugunsten des Idealbildes. Ihn interessierte weniger das Individuelle, als vielmehr die „malerische Eleganz und dekorative Wirkung“ und die erotische Ausstrahlung. Die Vermischung von Naturnähe und Stilisierung, die Intensität und der Eigenwert der Farbe sind aber auch ein Merkmal symbolistischer Porträts. Einer stellenweisen Überdeutlichkeit steht eine Undeutlichkeit und Unabgeschlossenheit gegenüber. Bei Tilla Durieux ist der Maler sehr nah am Vorbild geblieben, er hat ihre Charakteristik unverwechselbar wiedergegeben. Die Ähnlichkeit bei Stucks Bildnis leidet hier nicht unter dem Aspekt des Dekorativen. Grund für das wenige Verfremden könnte sein, dass die als leidenschaftlich und verrucht wahrgenommene Schauspielerin genau das verkörperte und ausstrahlte, was Stuck darstellen wollte – eine Femme fatale.
Des Weiteren zeigt das Bild Tilla Durieux nicht als Privatperson, sondern in ihrer Rolle als Kirke, in ihrem Beruf. Stuck thematisiert bei seinem Gemälde damit die Verkleidung der Frau, die vorgibt etwas zu sein, das sie nicht ist. Das Gemälde zeigt eine moderne Frau in antikem Kostüm dargestellt. Tilla Durieux, die im Schauspiel vorgibt die Zauberin Kirke zu sein. Kirke, die wiederum vorgibt eine gastfreundliche, harmlose Königin zu sein und sich als Zauberin herausstellt. In der Odyssee werden Kirke und Kalypso als Weberinnen eingeführt und entpuppen sich als dämonische Zauberinnen. Die maskierte Frau, die mehr ist, als das was sie auf den ersten Blick zu sein scheint, diese Aspekt wird betrachtet. Nach Diderot sind Frauen immer Schauspielerinnen, seien zwar äußerlich zivilisierter aber innerlich seien sie wahre Wilde geblieben. Sie müssen durch ihr Schauspiel, ihre Verkleidung, ihre Maske, ihre Wildheit verbergen.
Wie die Verkleidung der Schauspielerin und auch der Kirke, ist auch das antike Motiv eine Art der Verschleierung. Das antike Thema benennt, wie bereits bei den Präraffaeliten, Missstände in der Gesellschaft. Wie bereits erwähnt, zählt die Kirke zu den stereotypen Frauendarstellungen, die die Ängste der Männer aufzeigen und die Erniedrigung der Frau rechtfertigten. Doch zunehmend entstand in der Kunst eine ironische Distanz zu der klassischen Femme-fatale-Darstellung. Franz von Stuck zeigte bei seiner Kirke, dass er spielerisch mit dem Thema umgeht. Das kesse Lächeln der Frau nimmt dem Bild den strengen Charakter, ohne seine Aussage einzubüßen.
Hier endet der kunstgeschichtliche Aspekt meiner „Wer ist eigentlich Kirke?“-Reihe. Abschließend und damit hier kein Megapost entsteht, möchte ich auf den ersten Teil der Kirkevorstellung mit dem Fazit hinweisen, denn hier wird unsere kleine Exkursion zu einer runden Sache. Hier geht es zum Fazit.
Zur Schauspielerin Tilla Durieux als Person erzähle ich euch gerne in einem der nöchsten Beiträge etwas.
4 Kommentare
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Hans-Jüren
Weißt du wem das Bild vor 1940 gehörte?
Julia Schattauer
Nein, tut mir leid, das weiß ich leider nicht.