Faszination Sylvensteinspeicher – Wenn die Vergangenheit auftaucht
Last Updated on 11. April 2023 by Julia Schattauer
Türkisfarbenes Bergwasser, Matsch und Mauerreste – vor über 50 Jahren wurde der Sylvensteinstausee geflutet, nun ist er wegen Bauarbeiten leergelaufen. Zu sehen sind die Reste eines früheren Dorfes, erstaunlich wenig Müll und massenhaft Interessierte. Warum übt der leere Stausee solch eine Faszination aus? Wir haben mal nachgeschaut.
Nach Weihnachten geht es für mich ins wunderschöne Tegernseer Tal, wo die Eltern meines Freundes leben. Ein paar Familientage, Freunde wiedersehen und Ausflüge ins Umland und nach Füssen stehen auf dem Plan. Doch ganz groß auf meiner Wunschliste steht der Sylvensteinspeicher, den ich schon mit normalem Wasserstand bewundern konnte.
Das türkisfarbene Bergwasser schlängelt sich durch die Berge und formt an der Staumauer einen beachtlichen See, bevor das Wasser als kleines Rinnsal an der anderen Seite der Dammmauer wieder herausplätschert. Doch dieses Mal bin ich besonders gespannt auf den Anblick, denn der See ist verschwunden.
Zwischen 1954 und 1959 wurde der Stausee in der Gemeinde Lenggries in der Nähe von Bad Tölz gebaut. Der 44m hohe und 180m lange Damm staut die Isar und zwei Nebenflüsse, zwei Wasserkraftwerke dienen zur Energiegewinnung. Von der Fallerklammbrücke, die den Stausee überquert, hat man einen grandiosen Ausblick und momentan drängen sich die Menschen am Geländer, die Parkplatzsuche wird zum Glücksspiel. Zu sehen ist zuerst einmal eines: wenig Wasser.
Wem der Anblick von oben nicht reicht, der kann eine schmale Treppe hinunter zum Grund des Stausees laufen und sich mit eigenen Füßen im Matsch des Seebodens bewegen. Wattwandern in den Bergen sozusagen.
Ein leergelaufener Stausee und einmal unter der riesigen Brücke durchlaufen mag schon interessant sein, doch was die Menschenmengen anlockt ist etwas anderes: das versunkene Dorf Fall.
Alt-Fall lag idyllisch im Tal, direkt am Wasserfall der Faller Klamm. Wegen der Grenzlage zu Österreich wohnten hier vor allem Grenzbeamte, Waldarbeiter und Jäger, was den Schriftsteller Ludwig Ganghofer zu seinem Roman „Der Jäger von Fall“ inspirierte. Auch für damalige Verhältnisse war der Lebensstandard in Fall niedrig. Die meisten Bewohner lebten in einfachen Holzhäusern ohne sanitäre Anlagen; nur wenige Häuser waren aus Stein. Für die Bewohner war der Bau des Speichers Fluch und Segen zugleich. Erinnerungen hingen an den Häusern, die ungern unter den Wassermengen begraben werden wollten, doch viele versprachen sie von der Umsiedlung auch eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Nach und nach wurden die Häuser abgetragen und gesprengt, bis 1959 der Stausee letztlich geflutet wurde und das ehemalige Dorf mit seinen Wassermassen verdrängte.
Viele Mythen ranken sich um das versunkene Dorf. Der Kirchturm sei bei Niedrigwasser zu sehen beispielsweise. Dass das nicht stimmt, davon kann man sich jetzt überzeugen.
Auch wenn von Alt-Fall nur noch wenige Grundmauern, einige Auffahrten und ein Keller zu sehen sind, werden die Ruinen bestaunt wie die einer Ausgrabungsstätte. Die Kulisse hat an sich nichts Spektakuläres, hier ist kein verheerendes Unglück geschehen, dass ein Dorf mit sich riss, doch der Anblick der wenigen Mauern bewegt dennoch. Wenn ich mir vorstelle, dass ich selbst meine Heimat aufgeben müsste und zwar nicht aus eigenem Entschluss und ohne Mitspracherecht dann meine ich die Trauer und den Gram spüren zu können, die dem Sylvensteinspeicher zu Grunde liegen.
Mit diesen Gedanken wandere ich durch den Matsch. Es ist kurios wenn man bedenkt, dass man sich gerade auf dem Boden eines Sees befindet, der vor 50 Jahren noch Wiese war. Die mit Raureif bedeckten Algen, in Pfützen eingefrorenen Fische und nicht zuletzt die Taucherbrillen tun ihr Übriges zur eigenartigen Stimmung bei. Ein wahrhaft surreales Erlebnis, das man noch einige Wochen am eigenen Leib erfahren kann, denn die Bauarbeiten dauern noch bis circa Februar oder März, erst dann wird wieder Wasser ins Tal gelassen.
Hier findet ihr Fotos aus der Zeit, bevor der Stausee erichtet wurde.
4 Kommentare
Monika und Petar
Das ist ja eine spannende Sache, Julia. Wir kennen den Sylvensteinspeicher bisher auch nur mit Wasser gefüllt. Als langjährige Münchner kennen wir die Geschichte des Dorfes Fall, daher interessiert uns Dein Blogpost sehr. Mal sehen, ob wir es schaffen, bis März den Stausee zu besuchen. Herzlichen Dank für diesen interessanten Tipp.
Julia Schattauer
Schön, dass ich euer Interesse geweckt habe! Es ist auf jeden Fall den Ausflug wert!
Liebe Grüße,
Julia
Reiseblog
Da hast Du meine Heimat aber wirklich schön in Szene gesetzt. 🙂
Und ich hab es noch nicht einmal geschafft den leeren Sylvensteinspeicher zu besuchen… 🙁 Zuletzt war ich im Sommer zum Baden dort, aber das sieht jetzt wirklich viel faszinierender aus.
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