Ein Tag in Accra
Last Updated on 12. Mai 2021 by Julia Schattauer
Gastbeitrag von Wiebke von Sonnenstrahlenmomente
Schon eine Woche zuvor bin ich eingetaucht in Ghanas größte Metropole. Eingetaucht als eine Obruni (Twi- eine der Landessprachen und bedeutet überstezt „Weiße“) unter vielen anderen in ein Land, dessen Triumphbogen Freedom and Justice suggeriert, was es dennoch nicht vollends halten kann. Eingetaucht in eine Stadt voller Leben.
Während sich die Sonne um kurz nach 06h ihren Weg durch das Fenster bahnt hat draußen das Leben schon begonnen. Ich wache zur Musik der Stadt auf. Die Nachbarin hat bereits Wäsche gewaschen, das kleine Mädchen von nebenan kehrt gerade den Hof, der jeden Morgen, 365 Tage im Jahr, gefegt wird. Jemand anderes macht mit kaltem Wasser den Abwasch vom Frühstück. Von weitem hört man die „Mates“ der Tro-Tros rufen und die Menschen in die Stadt bringen. „Tema, Teshie, Nungua, Tema, Teshie. Accra cracra, Cirk, Cirk, Cirk. Nach meinem Frühstück, das aus den weltbesten Mangos und Papayas besteht, die ich je gegessen habe, mache auch ich mich auf den Weg ins das Getümmel auf Accras Straßen und zur Tro-Tro Station. Ich muss nicht lange auf das richtige Tro-Tro warten. In diesem zerfallenen und verrosteten Mercedes Bus, auf dessen Seiten immer noch der Name einer Firma aus Ludwigshafen steht, suche ich mir einen Platz am Fenster, um so den Fahrtwind spüren zu können. Wie meistens in Accra lässt das geordnete Chaos, das hier vorherrscht, nicht lange auf einen Stau warten. Der Anblick von vier Autos nebeneinander auf einer Straße, die nur zwei Fahrstreifen hat, ist hier keine Seltenheit. Dazwischen wagemütige Fahrrad- und Rollerfahrer und Händler, die alles Erdenkliche auf dem Kopf balancieren und zum Kauf anbieten. Über Toilettenpapier hin zu Autoreifen, Instantkaffee, plantain chips, FanIce, Obst, Erdnüssen über Zeitungen und Telefonkarten gibt es nichts, was man nicht direkt während einer Fahrt durch Accra kaufen kann.
Durch das offene Fenster kaufe ich bei einem jungen Mädchen mit Rastazöpfen und einem breiten Lächeln für 10 Pesweas ein pure water, einen mit 500ml Wasser abgefüllten Plastikbeutel. Das Wasser schmeckt erdig, tut aber dennoch gut, denn schon jetzt ist es mit seinen 35 Grad sehr heiß. Wir fahren vorbei an der Korle Lagune Richtung James Town, dem ältesten Viertel Accras. Am Leuchtturm, der zum James Fort gehört, in dem früher auch Sklaven gehalten wurden und das gleichzeitig auch ein Gefängnis war, halten wir kurz an. Jamestown ist besiedelt von den Ga, die dort hauptsächlich als Fischer arbeiten und der Ursprung des in Ghana sehr populären Azonto Dance ist. Mein Blick fällt auf den Ozean direkt vor mir und auf die Fischer, die sich in ihren bunten Holzbooten ihren Weg aufs offene Meer bahnen. Zwei Ghanaer steigen ein, ich muss in die letzte Reihe rutschen und die Fahrt geht weiter. Wir kommen am Kwame Nkrumah Memorial Park vorbei und trotz der Mauern, die den Park umschließen, kann ich einen Blick auf das Mausoleum des ersten Präsidenten von Ghana erhaschen. Mir kommt in den Sinn, dass genau dort Dellé von Seeed sein Musikvideo zu Pound Power gedreht hat. Wir biegen nach links und schon haben wir die Endsation, Tema Station, erreicht.
Hier herrscht ein kunterbuntes Gewusel. Tro-Tros schlängeln sich auf den großen Platz, dazwischen Frauen, die ihre Waren feilbieten und um jeden potentiellen Käufer zu kämpfen scheinen, Kinder, die umherrennen und Verkäuferinnen, die einfach ein Tuch auf dem Boden ausgebreitet haben, worauf sie Tomaten, Gewürze, Okras, geräucherten Fisch, Schweinefüße und anderes drappiert haben. Jeden Meter, den ich gehe, steigt mir ein anderer Geruch in die Nase. Mal ist es der nach Pepper, nach Obst und nach stinkendem Fisch, mal der nach dem salzigen Meerwasser gepaart mit dem Geruch der vielen verschiedenen Menschen, die sich hier auf einem Fleck befinden. Kein Wunder, dass in Accra die Luft vibriert. Nach 10 Minuten bin ich im Arts Center angekommen, dem Cultural Center For Arts And Crafts. Zuerst lasse ich mir eine Kokusnuss schmecken, die mir einer der Verkäufer anbietet. Nach der Stärkung gehe ich zuerst nach links und nicht direkt in die Markthalle hinein. Dort finden sich die schönsten Trommeln und unterschiedlichsten Sachen aus Holz. Ich gehe in einen der unzähligen Shops hinein, mir wird direkt einen Platz auf der Holzbank angeboten und ich kann ein bisschen zusehen, wie die Trommeln hergestellt werden.
Schnell hat sich herumgesprochen, dass eine Obruni da ist und ehe ich mich versehe, starten die freundlichen Ghanaer eine kleine Trommelsession für mich. Eine schöne Geste. Dazu noch der Blick aufs Meer, die Fußball spielenden Kinder davor und der Moment ist einfach nur perfekt. Nach einer Weile zieht es mich doch in die Markthallen. Ich bin gespannt, was sich in all den Ständen verbirgt. Manche beachten mich gar nicht, andere berühren mich am Arm und versuchen so, dass ich mir ihren Shop ansehe. Ich weiß gar nicht, wo ich als erstes hinschauen soll, so viele Eindrücke strömen gleichzeitig auf mich ein. Vor lauter Holzschmuck, Armbändern und selbst gemalten Bildern kann ich mich kaum entscheiden. Zudem gibt es auch tolle Ledertaschen, solche aus dem bunten, afrikanischen Stoff und Kleider in allen erdenklichen Farben und Mustern zu kaufen. Ein Farbspiel für die Sinne. Ich gehe langsam durch die engen Marktgassen, schaue mal hier, mal dorthin, kaufe aber nur diese tollen Armreifen, die aus der Schale der Kokosnuss gemacht werden. Ich werde auf jeden Fall noch mal hierher kommen. Nach 3 Stunden mache ich mich auf den Heimweg, nicht ohne aber noch einmal eine der leckeren Kokosnüsse zu genießen.
Zuhause angekommen taucht die untergehende Stadt alles in die verschiedensten Rot-, Orange- und Gelbtöne. So hässlich und chaotisch sieht die Skyline von Accra in diesem mystischen Licht plötzlich gar nicht mehr aus.
Für mich ist die Stadt mit ihren vielen Facetten und dem ständigen Rauschen als Hintergrundgeräusch wie ein einziger brodelnder Kochtopf, der ab und an überzukochen scheint, nur um sich nachts wieder abzukühlen und am nächsten Morgen wieder von neuem anzufangen zu brodeln. Accra, das sind palmengesäumte Strände, Freundlichkeit, Sonnenstrahlen, Lebensfreude, aber auch Müll, Armut und Chaos. Es mag komisch klingen, aber eigentlich mag ich die Stadt nicht. Sie ist hässlich, sie ist laut und sie stinkt. Die Metropole ist so sehr nicht still, auch nachts nichts, dass man schon fast das Geräusch der Wellen, die sich am Coco Beach branden, als still bezeichnen könnte. Und trotzdem liebe ich diese Stadt. Genau so gegensätzlich, wie sich das Leben hier abspielt- arm und reich, bunt und grau, Leid und Lebensfreude, Sonnenschein und dunkle Regennebelsuppe- genau so konträr sind meine Gefühle zu der Stadt. Man könnte es auch als Hassliebe bezeichnen. Denke ich aber genauer darüber nach, überwiegt die Liebe zu dieser Stadt, die mich mit ihrer entspannten Hektik und dem ghanaian way of life, bei dem am Ende alles doch irgendwie seinen Lauf nimmt, wenn auch auf Umwegen, schon so oft zur Weißglut gebracht hat und mir gleichzeitig so viele schöne Momente beschert hat.
Von Wibke, Bloggerin bei Sonnenstrahlenmomente